„Zukunftsentwürfe alternder Gesellschaften“, 3./4. Juli 2013 in Frankfurt
Sitzprobe von Michael Gleich
I. Was sein sollte?
Was waren die erklärten Ziele der Veranstaltung/Veranstalter?
Lt. Programmheft: Der Kongress wird Zukunftsszenarien vorstellen, klassische und provokante Themenfelder innovativ diskutieren und sich mit Altersbildern und Arbeitswelt, Science-Fiction und Körper, Wohnen und Lebensläufen der Generationen aus unterschiedlichen Perspektiven auseinandersetzen. Wissenschaftler/innen, Künstler/innen, Journalisten/innen und weitere Experten/innen veranschaulichen einem breiten Publikum neue Erkenntnisse der Altersforschung, bieten Impulse für Workshops und vertiefende Gesprächsrunden, in denen interaktive Diskussionsformate die Erfahrungen und Erwartungen der Teilnehmer/innen aufgreifen.
Wurden die Ziele erreicht?
Die Experimentierfreude bei den Formate war gegeben, um den TN die Gelegenheit zur eigenen Auseinandersetzung mit dem Altern zu geben. An entscheidenden Stellen (vor allem erster Halbtag, der für die Einstimmung wesentlich ist) lähmten die altbekannten Rituale von Grußworten und Promi-Rednern.
II. Wie hat es gewirkt
Inhalt & Struktur
- Grußwort: Einer der beiden Veranstalter las am Laptop die Unternehmenspräsentation vor, so lange, bis er von der Moderatorin von der Bühne komplimentiert werden musste. Der Inhalt des Vortrags war den Veranstaltern nicht bekannt, das könne man nicht vom Redner verlangen, dass er den Inhalt vorher mitteilt. Dramaturgisch ist der Beginn einer Veranstaltung ein sehr intensiver Moment – gerade hier sollte man alles tun, um kraftvoll und begeisternd einzusteigen
- Keynotes: Eckart von Hirschhausen war erfrischend, pointiert, humorvoll und seriös gleichzeitig. Interessant waren seine Worte zu Heiner und mir nachher: „Normalerweise gestalte ich meine Präsentation viel interatkiver, mit Murmelrunden, Tanzen, gehe ins Publikum, wir singen zusammen. Das finde ich total wichtig, damit die Menschen wirklich etwas mitnehmen.“ Aber hier, so EvH, gehe es ja um einen Kongress, da wollte er seriöser sein.
- Die Idee, auf EvH einen ziemlich drögen Vortrag von Claudius Seidl (FAZ) folgen zu lassen, war dramaturgisch ein Rohrkrepierer. Dazu die Veranstalter: Sie hätten beide angefragt, wollten aber nur einen Vortrag; als dann alle beide zugesagt hätten, sei ihnen nichts anderes übrig geblieben…
- Das Aufgebot an Fachleuten (für Demografie, Geriatrie, Soziologie, Pflege, Medizin) war beeindruckend.
- Wann gab es Berührung? Wenn Menschen von sich gesprochen haben, von ihren Wünschen, Sorgen, Erfahrungen bzgl. Altern. Staunen: Die Vorführung eines Anzugs, der altersbedingte Einschränkungen simuliert, sodass Jüngere sich einfühlen können.
- Der Rote Faden (Zukunftsbilder einer alternden Gesellschaft kennen zu lernen und selbst mit zu entwickeln) war klar, erkennbar, wurde konsequent durchgehalten.
Wie hätte es besser gehen können?
Mich hat insbesondere der abtörnende, lähmende Einstieg darauf gebracht, wie man es schaffen kann, zu Anfang eines Kongresses beides zu vereinbaren: einerseits die Wünsche des Veranstalters, sichtbar zu werden in seinem Anliegen und in dem Aufwand, den er getrieben hat, um die VA möglch zu machen, andererseits die Wünsche der Teilnehmer, anzukommen, eingestimmt und mitgenommen zu werden. Statt Grußworte z.B. Interviews mit den Veranstaltern. Redner Coaching für jemanden, der ein guter Manager, aber kein guter Rethoriker ist. „Stolpersteine“, kleine sympathische Interventionen, die freudig-bewegt einstimmen.
Partizipation & Vernetzung
Konnte ich mich einbringen, wenn ich wollte?
Die parallel laufenden Foren sollten angeblich „mit großer Beteiligung“ sein. So wurden z.B. „FishBowls“ angekündigt. In Wirklichkeit wusste der Moderator nicht einmal, was das ist. Es hatte irgendwas mit dem Stuhl zu tun, den man auf der Bühne frei ließ. Die Hemmschwelle für jemanden aus dem Publikum, dort hoch zu gehen, kann man sich nicht hoch genug vorstellen…
Formate, die Dialoge und Austausch ermöglichten?
Heiner Wember, Heike Leitschuh und ich haben „vertiefende Gesprächsrunden“ moderieren dürfen. Formate waren: Lernlandkarten malen; Arbeitsgruppen; World Café; Kreisdialog nach Buber/Bohm. Viele Menschen, die daran teilgenommen haben, bezeichneten den Austausch mit den anderen und die freundliche, gastgebende Atmosphäre als Highlights des Kongresses.
Waren die Veranstalter an meinem Feedback interessiert?
Mein Eindruck: Sie wollten es hören, weil man als moderner Mensch an Feedback interessiert sein sollte/müsste. Es kamen aber sofort Argumente, warum man das alles genau so machen musste und nicht anders. Es wurden Feedback-Bögen verteilt, und das ging so: Die Bögen wurden auf Stühle gelegt und der Moderator wies darauf hin, dass es sie gibt. Aber es gab keine Ansage, wer sie einsammelt, wo sie hinterlegt werden können, geschweige denn eine Botschaft: Wir möchten es wirklich gerne wissen, was wir besser machen könnten.
Wie hätte es besser gehen können?
Noch mehr Moderation von echter Vernetzung hätte es gebraucht.
Rahmen & Technik
Die Räume waren technisch gut ausgestattet und insbesondere die Naxos-Halle (alte, sichtbare, umgenutzte Industrie-Architektur) bot eine inspirierende Atmosphäre. Es waren immer genug Helfer da, um kurzfristig Bestuhlungen umzubauen. So wusste ich kurz vor meiner „vertiefenden Gesprächsrunde“ noch nicht, wieviel TN kommen würden, ob ich einen „Schwarzmarkt für freudiges Altern“ oder einen Kreisdialog anbieten würde – mit den Helfern zusammen konnte ich flexibel reagieren.
III. Was bleibt?
Wie war die Gesamtdramaturgie?
Sie schwankte zwischen „erfrischend unkonventionell“ (z.B. mit „Schnittstelle“ – einem Friseursalon der Generationen) und dann wieder kompromissbeladen, immer noch zu sehr auf „Wie bringe ich das Wissen in die Köpfe der TN“ statt auf „lasst uns gemeinsam forschen, wie die alternde Gesellschaft aussehen könnte“.
Ein Zitat, das haften blieb:
„Ich bin eigentlich ganz anders, aber ich komme nur so selten dazu.”
(Eckart von Hirschhausen zitiert Ödön von Horvath)
Würde ich die Veranstaltung weiterempfehlen – Ja/Nein und warum?
Ja, weil die Bundeszentrale für politische Bildung verstanden hat, dass es bei Gesellschaftsentwürfen nicht um „Downloading“ von Fakten geht (der Experte weiß, der Laie im Publikum lernt), sondern um gemeinsame Gestaltung.
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